Kalifornien zwischen Dürre und Überflutung
Stadtplanung als Waffe gegen den Klimawandel
Da Klimaextreme in Kalifornien immer regelmäßiger auftreten, suchen Wissenschaftler für die Regionen um Berkeley und San Francisco nach Lösungen für Hochwasser und Dürre-Perioden: mit neuen Trinkwasserquellen oder Brücken gegen den Anstieg des Meeresspiegels. Der Wettlauf mit der Zeit hat längst begonnen.
November 2017 in Bonn. Zur Weltklimakonferenz COP-23 kommen rund 25.000 Teilnehmer aus aller Welt, darunter auch Arnold Schwarzenegger. Der Ex-Gouverneur von Kalifornien ist Teil der amerikanischen Klimaschutzbewegung. „Der Klimaschutz muss absolute Priorität haben, auch wenn US-Präsident Donald Trump angekündigt hat, aus dem Klimapakt auszusteigen.“ Gleiches lässt Jerry Brown verlauten, Schwarzeneggers Nachfolger. Mehrere US-Bundesstaaten hätten ihre Klima-Anstrengungen noch verstärkt. Kalifornien, so Schwarzenegger, führt die Revolution an.
Dienstagmorgen 9:00 Uhr in San Francisco. Ich bin am Fährhafen mit Mark Stacey verabredet. Das Smartphone meldet sich: „Hello Michael, It looks like my train will arrive at 9:14 – so I should be there to meet you by about 9:20 or 9:25. – Mark“.
Er verspätet sich etwas. Der Blick aufs Wasser, mit dem Rücken zur Stadt, lässt die gewonnene Zeit schnell verrinnen. Ein Pelikan fliegt vorbei, eine Robbe taucht ein paar Meter vor mir auf. Irgendwo in der Bucht liegt die berühmte Gefängnisinsel Alcatraz und ganz im Westen die Golden Gate Bridge. Und dann taucht ein Mann in grauer Hose und Sportjacke auf: Marc Stacey, Ingenieur von der Universität von Kalifornien in Berkeley. Unser Treffpunkt ist sein Forschungsobjekt.
„Wir stehen hier gerade am Ufer in San Francisco auf der Embarcadero ….etwas nördlich der Bay Bridge.“
„Dieser Damm wird zukünftig nicht mehr ausreichen“
Der Embarcadero ist eine Hauptverkehrsader, die von der riesigen Bay Bridge Richtung Golden Gate Bridge führt. Noch stehen wir hier auf dem Embarcadero im Trockenen. Doch in ein paar Jahren könnte regelmäßig überflutet sein.
„Wir schauen auf einen Damm, den viele gar nicht als solchen erkennen, denn es ist erstmal ja nur eine Straße. Aber vor mehr als einem Jahrhundert wurde sie auf Land gebaut, das dem Meer abgewonnen wurde. Und jetzt müssen wir uns der Tatsache stellen, dass dieser Damm zukünftig nicht mehr ausreichen wird, um uns zu schützen.“
Vor hundert Jahren war hier noch alles Sumpfland. Doch der Sieg des Menschen über die Natur könnte nur eine Episode gewesen sein. Denn die Natur macht – angetrieben vom Klimawandel – gerade Anstalten, sich das Land zurückzuholen.
„Da vorne ist Treasure Island, im Zentrum der Bucht da ist auch die Verankerung an die Bay Bridge und da kann man die Niedrigwasserlinie im Norden sehen….das ist alles auf Sand gebaut, also Landgewinnung. Im Prinzip ist das hier ein Testlabor, wie San Francisco auf den steigenden Meeresspiegel reagieren wird.“
Wie die Infrastruktur dem Meerespiegel standhält
Wie oft, will ich wissen, kommt es vor, dass die Straße überflutet wird?
„Schwer zu sagen, weil es noch zu selten passiert, um statistische Aussagen zu treffen. Ich würde sagen, ein bis zweimal im Jahr eine Überflutung, zumindest der Radwege. Vor allem im Januar und Februar, wenn Flut und Winterstürme gleichzeitig auftreten.“
Noch sind es Einzelereignisse. Aber den Klimaprognosen zufolge wird die Straße bald häufiger überflutet sein. Mark Stacey leitet das Projekt „Riser SF Bay“, bei dem er die Widerstandsfähigkeit der Infrastruktur bei steigendem Meeresspiegel analysiert. Er berechnet auch was passiert, wenn an einer oder mehreren Stellen Hochwasserschutzmaßnahmen ergriffen werden.
„Wir versuchen die Hydrodynamik und die ganze Physik, die damit einhergeht, mit unserer Infrastrukturplanung zu verbinden, dass die ganzen Entscheidungsprozesse sich an unserem Störungs-Modell orientieren.“
Auch das Verhalten der Bevölkerung wird ausgewertet
Wir gehen auf einen Pier, um die Uferbegrenzung besser sehen zu können. Der Pier lädt zum Spazieren gehen ein und soll gleichzeitig das Wasser kanalisieren. Kurz lenken mich die Pelikane ab. Die Bay Area ist auch ein Biotop, mit sieben Millionen Menschen. Mark Stacey wertet nicht nur die Klimaprognosen aus, sondern auch das Verhalten der Bevölkerung.
„Das Neue an unserem Ansatz ist, dass wir auch die anonymisierten Daten von Smartphones nutzen, um zu schauen, wie die Pendler auf Veränderungen reagieren. Wenn eine Straße oder ein Brücke gesperrt ist, was machen sie? Ändern sie ihre Route, wechseln sie vom Auto zur Bahn oder bleiben sie zu Hause? Verschieben sie etwa ihren Einkauf, wie verändern sich tägliche Wege, weil es Störungen gibt?“
Anpassung der Verkehrsinfrastruktur
Bauliche Veränderungen sollen das Leben der Menschen nicht verkomplizieren. Klar ist aber auch, dass die Infrastruktur angepasst werden muss, ansonsten droht bei Überflutung der Verkehrskollaps. Nur: Was ist sinnvoll? Was nicht?
„Wenn der Meeresspiegel dann steigt und Hochwasserschutzmaßnahmen umgesetzt werden, werden wir auch die Dynamik der Gezeiten verändern. Wir müssen Überflutungsgebiete schaffen, die den Druck aus der Bay nehmen.“
„Man kann also dieses positive Feedback schaffen, dass man den Druck der Überflutung hier woanders reduziert. Dadurch können wir eine regionale Strategie entwickeln, aber nur, wenn alle an einem Strang ziehen. Denn Entscheidung an Ort A beeinflusst auch die Küstenregion und den Wasserstand für Ort B, C und D.“
Das Wasser könnte bis zu 1,50 Meter steigen
Bis zum Jahr 2100 wird das Wasser in der Bucht von San Francisco mindestens 50 Zentimeter steigen, vielleicht auch einen Meter fünfzig. Einzelmaßnahmen sind nicht das Problem, sagt Stacey. Die Herausforderung liegt in der Koordination aller Maßnahmen. Denn wenn etwa San Francisco die Mauern hochzieht und sich hermetisch abriegelt, säuft Berkeley auf der anderen Seite der Bucht ab.
Kalifornien hat nicht nur ein Wasserproblem, sondern viele. Der steigende Meeresspiegel erhöht den Druck auf die Städte, Straßen und Brücken der Küsten. Gleichzeitig drohen landeinwärts Dürren. Lang anhaltende Trockenperioden laugen die Böden aus. Dann folgen – wie Anfang 2018 – Starkregenfälle und Schlammlawinen. Der Küstenstreifen Big Sur in Kalifornien umfasst rund 100 Kilometer Küstenlinie und die dahinter aufragenden Berge der Santa Lucia Range. Im Frühjahr 2017 kollabierte dort die Pfeiffer Canyon Bridge – ein Resultat der ungewöhnlich heftigen Winterregenfälle.
Flughäfen und Brücken von Überflutung bedroht
Von San Francisco bis nach Stanford im Süden sind es knapp 40 Meilen. Mit dem Auto ist die Strecke in einer Dreiviertelstunde machbar, mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauert es zwei Stunden. Auf dem Weg liegt der internationale Flughafen von San Francisco. Ohne weitere Infrastrukturmaßnahmen könnte auch der bald häufiger überflutet werden, genau wie der Oakland International Airport auf der anderen Seite der Bay.
Die private Stanford Universität hat reichlich Geld, dank der hohen Studiengebühren und der Spenden vieler Mäzene. Am Bahnhof gibt es einen kostenlosen Busshuttleservice – inklusive freundlichem Personal, das einem bei der Auswahl des richtigen Vehikels hilft. Alle Gebäude sind neu, energieeffizient und nachhaltig. Noah Diffenbaugh forscht hier. Er hat gerade eine Studie vorgelegt, wonach 63 Prozent aller Brücken der nächsten Jahrhundertflut nicht mehr Stand halten werden. Zum Teil sind sie Jahrzehnte alt. Bei der Planung wurden die künftigen Strömungen unterschätzt.
Population und Wachstum – Stress für das Wassersystem
Ich muss mich beeilen. In einem schmucken Neubau wartet Richard – genannt Dick – Luthy. Richard Luthy hat viele Hüte auf. Am wichtigsten ist der des Direktors von ReNUWIT. Es geht um nichts weniger als das Neuerfinden der städtischen Wasserinfrastruktur.
„In Kalifornien steigt die Population. Die Wirtschaft wächst stetig und dann kommt noch der Klimawandel hinzu, das alles bedeutet viel Stress für unser Wassersystem.“
Kalifornien hat den höchsten Grundwasserverbrauch im ganzen Land: rund 53 Milliarden Liter pro Tag – während der Dürre stieg der Verbrauch sogar auf täglich mehr als 68 Milliarden Liter. Mit Wassersparen allein ist es da nicht getan.
Das würde höchstens helfen, wenn die Population stabil bliebe oder – noch besser – sinken würde. Das Gegenteil ist der Fall.
„Wir dürfen hier im Staat Kalifornien eines nicht vergessen: Es gibt keine Einzelmaßnahme, die die Wasserprobleme lösen kann. Wir müssen begreifen, dass wir alle Teil des Problems sind, genauso wie wir alle Teil der Lösung sind.“
Jahrelange Recherche über Wasserressourcen
Die ersten Jahre hätten sie vor allem mit der Datenerhebung verbracht, wo es welche Wasserressourcen überhaupt gibt, wie sie genutzt werden, welche Wege das Wasser anschließend nimmt. Dann hätten sie nach Quellen gesucht, die sie noch nicht anzapfen.
Wir wechseln vom Besuchertisch an den Schreibtisch. Richard Luthy will mir ein aktuelles Projekt in Los Angeles zeigen. Er ruft den Plan eines Parks auf, der seit 2017 auf dem Gebiet einer ehemaligen Deponie gebaut wird.
„Ich zeige ihnen hier mal ein Bild, wie das aussehen könnte. Das ist die Fläche von einigen Straßenblocks. Noch verschandelt die nur die Stadt, aber zukünftig kann durch einige Baumaßnahmen ein Bereich entstehen, der Regenwasser sammelt, es durch ein Feuchtgebiet führt, wo es danach in einem Werk aufbereitet wird für die Wasserversorgung der Stadt.“
Riesige Aufbereitungsbecken für Regenwasser
Im nahegelegenen Sun Valley Park stehen riesige Aufbereitungsbecken, da soll das eingesammelte Regenwasser hineingepumpt werden. 52 Millionen US-Dollar wird das Projekt kosten.
„Hier ist ein anderes Bild, wie das mal aussehen könnte. Hier haben wir eine Fläche für einen künftigen Fußballplatz, einen Spielplatz, Basketballfelder, Tennisplätze, Spazierwege und viele Bäume. Da wäre eine Möglichkeit, Wasser abzufangen – mitten im Park. Anderenfalls würde das Regenwasser ins Meer fließen und wir müssten es wieder aufwändig entsalzen. Da ist unsere Methode doch sehr effizient.“
Sie alle müssten vielseitiger denken – und deutlich größer. Leider sind manche Ideen nur schwer umsetzbar. Fairerweise müsse man sagen, dass es nicht viele 50 Hektar große Flächen in Los Angeles gibt, die man für solche Projekte kaufen kann. Luthy denkt deshalb nicht nur an Neubauten, sondern will auch vorhandene Strukturen effizienter nutzen. Als Beispiel nennt er die Software AquaCharge, die er kürzlich entwickelt hat.
„Die Idee ist folgende. In einigen Orten der USA, etwa das Umland von Los Angeles, gibt es Regenwassersammelbecken, die das Wasser sammeln, das im Winter von den Bergen fließt. Den Rest des Jahres sind die aber leer, weil es hier ein mediterranes Klima gibt und es dann wieder acht Monate lang gar nicht regnet.“
Szenarien für die verbundene Wasserbecken
Verschenkte Bauten. Diese Becken könnten sie ganzjährig nutzen, sie müssten nur das Nutzwasser wieder einsammeln, aufbereiten und zurückführen.
„Der Plan ist, dass wir das Wasser rückgewinnen und wieder in die Becken pumpen und so die ungenutzten Kapazitäten nutzen. Das würde dann ein wichtiger Teil der Wasserversorgung werden.“
Die Becken könnten verbunden werden – perlenartig aufgereiht – reichten sie von der Stadt bis in die Berge. Richard Luthy lässt die Maus los, dreht sich zu mir und beginnt zu dozieren. Die Bausteine, an denen sie arbeiten, zählt er an den Fingern ab.
„Wir müssen hinsichtlich des Trinkwassers praktisch in fünf Wasserhähnen denken: Effizienz, Entsalzung, Regenwasser, Recycling und Wasseraufbewahrung. Mit diesen Methoden zusammen können wir viel erreichen und wahrscheinlich das Wasserproblem lösen.“
Gouverneur Brown schärft das Bewusstsein der Menschen
Fast zwei Stunden Interview sind vorbei. Ich muss dringend zwei Stockwerke höher zu Luthys Kollegin Newsha Ajami. Letzte Frage an ihn, ob er trotz der enormen Herausforderungen optimistisch ist?
Newsha Ajami ist Direktorin für Städtische Wasserwirtschaft und gilt als DIE Expertin bei der Entwicklung von Strategien, wie Forschung, Politik und Gesellschaft gemeinsam Wasser nachhaltiger nutzen könnten.
„Wie können wir im Zuge des Klimawandels unseren Wasserhaushalt verbessern? Wie können wir unser System effizienter machen?“
Der Klimawandel ist eigentlich kein Gewinnerthema, aber in Kalifornien scheint das anders. Hier hätten sie zum Glück die richtige Person an der Spitze, erzählt Newsha Ajami:
„Ich denke, Gouverneur Brown hat das strategisch geschickt gemacht, um den Leuten die Dürre nahezubringen. Er stieg auf die Berge, um wie jedes Jahr den Schnee zu messen, obwohl es keinen Schnee gab, sondern nur braunen Matsch und er sagte: Schau dir das an, Kalifornien, schau hinter mich, letztes Jahr und die Jahre davor gab es hier so viel Schnee, dass er mir bis zur Schulter reichte. Und dieses Jahr – nichts. Das ist der Stand der Dinge und ich will, dass Sie das auch sehen.“
Menschen sparten automatisch Wasser während der Dürre
Eine Verordnung während der Dürre 2015 zeigte Wirkung. Einzelne Kommunen kamen mit 40 Prozent weniger Wasser aus. Sie hatten die Bewässerung der Grünstreifen untersagt, oder das Nass-Reinigen von Bürgersteigen und Straßen bis hin zum automatischen Servieren von Trinkwasser in Restaurants. Um solche Ziele dauerhaft zu erreichen, so Newsha Ajami, müsse man die Bevölkerung mit ins Boot holen – und natürlich auch die Wasserbehörden.
„Die meisten Wasserbehörden verdienen ja mit dem Verkauf von Wasser Geld. Da ist es nicht einfach, die zu überzeugen, dass sie freiwillig rausgehen und Wassersparen voranbringen sollen.“
Doch dann ist etwas passiert, womit weder sie noch die Wasserwerke gerechnet hatten.
„Während der Dürren teilten uns die Wasserbehörden mit, dass viele Menschen Wasser sparen, obwohl die Behörden strategisch nichts geändert hatten, weder strukturell noch haben sie mehr Werbung gemacht Sie hatten keine Erklärung dafür, weshalb die Menschen plötzlich weniger Wasser verbrauchten.“
Rolle der Medien beim Wasserverbrauch
Zuvor wurde nur Wasser gespart, wenn Politiker dies explizit empfohlen hatten. Das war aber nicht der Fall. Was also war der Grund für die plötzliche Sparsamkeit? Newsha Ajami sammelte Daten über alle denkbaren Einflussfaktoren.
„Wir haben uns neun regionale und überregionale Tageszeitungen vorgenommen. Wenn man die Berichterstattung über Wassersparen und Dürre nicht einrechnet, gab es keine Erklärung, die man mit den üblichen Faktoren erreicht, etwa ein verändertes Einkommen. Sobald man aber die Berichterstattung hinzunahm, passte das wieder. Also, eine mediale Berichterstattung spielt beim Wasserverbrauch eine wichtige Rolle.“
Es war die Zeit eines Sommerlochs, gibt Newsha Ajami zu, deshalb hätten die Printmedien vermehrt über die Dürre berichtet. Aber so hätten die Menschen in Kalifornien selbst den Beweis erbracht, dass jeder im Kleinen die Ressource Trinkwasser nachhaltig schützen kann – und im ganz Kleinen sowieso: Ajami lacht und zeigt auf ein Foto ihrer Kinder.
„Meine Kinder schreien sich an, wenn einer den Wasserhahn offen lässt und ihn vergisst zuzudrehen. Und manchmal erzählen sie ihren Freunden „Meine Mum ist eine Wasserpolizistin – also pass auf, mach keinen Quatsch, oder sie wird sehr böse“ (lacht)“
Ein falsch konstruierter Staudamm
Kaliforniens Wasserprobleme sind nicht nur mithilfe von zusätzlichen Wassersammelbecken und Sparen in den Griff zu bekommen. Neue Trinkwasserquellen müssen her und alte geschützt werden. Im Norden Kaliforniens zum Beispiel. Wo der Oroville Staudamm fast gebrochen wäre.
Anfang 2017: Nach einer vier Jahre andauernden Rekord-Dürre folgt der nasseste Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der Oroville Staudamm war fast ausgetrocknet, jetzt füllt er sich in Rekordzeit – soweit, dass die Staumauer kaum mehr standhalten kann. Eine Flutwelle droht. Infolge des Hochwassers ist der Entlastungskanal beschädigt, der ganze Staudamm vermutlich falsch konstruiert.
Der Neubau von Dämmen zu Energiegewinnung lohnt nicht, denn Strom aus Wassergewinnung kann mit Sonne und Wind nicht mehr konkurrieren. Deshalb gibt es auch immer wenige Geldgeber, die in alte Dämme investieren wollen.
Entsalzungsanlagen – billiger, technisch einfacher
An der Universität von Kalifornien in Berkeley strömen um die Mittagszeit Massen von Studierenden über den Campus, pünktlich um 12 Uhr fängt das Glockenspiel am Sather Tower an.
Nach einer Viertelstunde wird es wieder still, nur die Eichhörnchen jagen hektisch umher. Ich treffe den Co-Direktor des Berkeley Water Center, David Sedlak, vor der Wheeler Hall, dem größten Vortragsgebäude auf dem Campus. Eigentlich forscht er an Anlagen, die aus dem salzigen Meerwasser Nutzwasser herstellen.
„Vor 30 Jahren waren die Kosten für Entsalzungsanlagen unglaublich hoch, zudem brauchte es dazu viel Energie und man hat auch noch Treibhausgase produziert.“
Das hat sich dank vieler technischer Innovationen geändert. 2015 ging die erste große Entsalzungsanlage in Kalifornien in Betrieb, 2017 gab es zehn. Fünfzehn weitere sollen folgen.
„In Kalifornien befinden wir uns jetzt an einem Punkt, wo es hinsichtlich der Kosten keinen Unterschied mehr macht, ob wir das Wasser für Los Angeles entsalzen oder über das Gebirge in die Stadt pumpen. Natürlich sind die Kosten für die Entsalzungsanlagen noch zu hoch für die Wasserversorgung, aber es wird zurzeit immer billiger und technisch einfacher.“
Wasser-Revolution 4.0
Perth in Australien schaffte es während der letzten Dürre, die Hälfte des Trinkwasserbedarfs aus Meerwasser zu gewinnen. Noch beeindruckender ist, was derzeit in Israel geschieht. Dort stammen bis zu 90 Prozent des Trinkwassers aus Entsalzungsanlagen. Aber, und das ist das eigentliche Thema für Sedlak: Trinkwasser wird dort nicht nachhaltig produziert. Im Zuge des Klimawandels müsse aber genau das geschafft werden. Er will mir von seiner Revolution erzählen, die er Wasser 4.0 nennt.
„Bei Wasser 4.0 meint die vier Revolutionen der städtischen Wassersysteme. Drei haben bereits stattgefunden, die vierte durchleben wir gerade.“
„Die erste Revolution beschreibt die Ingenieursleistungen der Römer, die Wasser über große Distanzen in die Städte brachten. Die zweite Revolution war die Idee, Wasser etwa mit Sand zu filtern und mithilfe von Chlor in sicheres Trinkwasser zu verwandeln. Revolution Nummer drei geht auf die 1970er Jahren zurück, als Industrienationen begannen, ihr Abwasser zu säubern, bevor sie es in Flüsse leiteten, so dass man dort wieder angeln und schwimmen konnte.“
Und nun befinden wir uns also inmitten der vierten Revolution, sagt Sedlak.
„Bei Wasser 4.0 verwandeln wir unsere Wassersysteme in Ressourcen-Aufbereitungs-Systeme, die uns nicht nur mit Wasser versorgen sondern unseren Städten auch Nährstoffen und Energie zurückgeben. Wir verschwenden viel weniger.“
„Städte müssen sich dem Klimawandel anpassen“
Wenn das Wasser knapp ist, gibt es einfache Möglichkeiten – etwa eine Verordnung, dass Wasserhähne in öffentlichen Gebäuden zwingend über einen automatischen Wasserstopp verfügen müssen.
„Die Sache ist die: Wir müssen nicht jeden einzelnen Tropfen Wasser recyceln. Wenn wir nur die Hälfte recyceln, verdoppeln wir das uns zur Verfügung stehende Wasser. Dann vermeiden wir den Bau neuer Dämme, Wasserreservoire oder teurer Entsalzungsanlagen.“
„Wir stehen noch am Anfang. Die Frontlinie der Revolution sind die fortschrittlichen Städte, die verstanden haben, dass sie sich an den Klimawandel anpassen müssen. Wenn das geschieht, werden auch die anderen Städte erkennen, dass die Systeme nicht nur sicherer und nachhaltiger sind, sondern auch kosteneffizient, und das ist es, was die Öffentlichkeit erwartet.
Stadtplanung als Antwort auf den Klimawandel
Die Revolution wird wohl den ganzen Staat erfassen und sie wird erst einmal Geld kosten. Dämme und Brücken müssen verstärkt werden, Straßen erhöht oder verlegt, die Wasserversorgung wird einen Systemwechsel durchlaufen. Die Pläne entstehen an den Universitäten und im Auftrag der Kommunen. Letztlich wird sich das Gesicht der Städte verändern.
„Die Stadtplanung ist unsere mächtigste Waffe gegen den Klimawandel, gegen steigende Energiekosten und die Umweltzerstörung, weil sie gleichzeitig so viele Probleme lösen kann. Sie kann dafür sorgen, dass die Wirtschaft angekurbelt wird, dass soziale Faktoren verbessert werden und das wiederum ebnet der Politik den Weg. Letztenendes entscheidet die Art, wie wir leben über die Last, die wir dem Planeten aufbürden.“
Peter Calthorpes Expertise als Stadt- und Raumplaner ist seit Jahrzehnten weltweit gefragt. Er war an der Entwicklung mehrerer Städte in China beteiligt und hat für einige Metropolen wie Mexico City Wege aus dem Verkehrsinfarkt gefunden. Wie sein Bundesstaat sich für die bevorstehenden Aufgaben wappnen kann, hat er in dem Projekt „Vision California“ erarbeitet.
„Nehmen sie Südkalifornien, das sind 192 Städte und Bezirke – LA ist nicht die einzige Stadt dort. Das ist eine riesige Metropol-Region, die sich immer weiter ausbreitet. Wir haben einen regionalen Plan entwickelt, um den Autoverkehr zu reduzieren und das alles neu zu denken.“
Infrastruktur-Steuer von 12 US-Dollar pro Haushalt
Es geht um Faktoren wie pro Kopf gefahrene Kilometer, zu Fuß erreichbare Arbeitsplätze und Einkaufsziele, die Menge pro Person an Isolierungsmaterial für den Wohnraum, all das beeinflusst den CO2-Ausstoß. Erreicht werden soll das in Kalifornien mit der gesetzlichen Vorgabe SB375. Erste Erfolge bestätigen die Arbeit.
„Nehmen Sie die beiden Beispiele Downtown LA, wo unser Plan großartig aufgeht. Die Gebäude wachsen in die Höhe und alles wächst zu einem richtigen Stadtzentrum heran – und der Wilshire Boulevard bekommt jetzt eine U-Bahn nach Santa Monica – das entwickelt sich alles bestens.“
Es sieht so aus, als hätten die Bewohner Kaliforniens verstanden, dass sie sich dem Klimawandel und seinen Folgen stellen müssen, gibt sich Peter Calthorpe überzeugt. Anders sei es nicht erklärbar, dass Wähler in den neun Bezirken entlang der Bucht dafür gestimmt hätten, dass jeder Haushalt jährlich eine Steuer von 12 US-Dollar zahlt, um Infrastruktur-Projekte zu finanzieren, die durch den Klimawandel unbedingt notwendig sind.
„Ich denke nicht, dass es eine magische Silberkugel gibt, die die Herausforderungen lösen kann, sondern das beschleunigt sich Schritt für Schritt, und zwar außerhalb der nationalen Politik. Die US-Regierung ist da weit hinterher, aber der Staat Kalifornien ist sehr fortschrittlich. Städte können ganz allein viel ausrichten. Immer mehr Städte werden merken, dass sie wirtschaftlich viel erfolgreicher sind, wenn sie auch die Probleme des Klimawandels lösen.“